"Mut zu großen Fragen" - Gastbeitrag von Henning Höne für die Westdeutsche Zeitung

Henning Höne, Fraktionschef der FDP im nordrhein-westfälischen Landtag und möglicher nächster Vorsitzender der Landespartei schreibt in einem Gastbeitrag für die Redaktion der Westdeutschen Zeitung über große Probleme – und große Antworten.

Fraktionschef Henning Höne

Fraktionschef Henning Höne

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen haben diesen Begriff geprägt. In der Folge hat Deutschland Waffen in das Kriegsgebiet geliefert, um die Ukraine zu unterstützen und ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingerichtet. Damit ist ohne Zweifel eine Zeitenwende Deutschlands in der Außen- und Sicherheitspolitik vollzogen worden.

Die Folgen des Krieges wirken auf unsere Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte wie ein Brennglas: Deutschland hat seine Bundeswehr vernachlässigt und sich zu stark von russischem Erdgas abhängig gemacht. Hinzu kommen die Defizite, die bereits in der Corona-Pandemie zutage traten. In der Pandemie haben wir gelernt, dass unsere Gesundheitsämter nicht zum automatischen Datenaustausch in der Lage sind. Und das System Schule war quasi nicht digitalisiert. In der Folge hatte der Lockdown besonders schwere Folgen gerade für die Kinder und Jugendlichen gehabt, die es ohnehin schon schwer haben.

Herausforderungen hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten über kleine Stellschrauben und mit dem Einsatz von Steuergeld gelöst: Neue Gesetze geschaffen, neue Stellen, neue Förderprogramme. Im Ergebnis lag unsere Staatsquote 2021 bei 51,3 Prozent. 15 Jahre vorher waren es noch 45,2 Prozent. Die rekordverdächtigen Staatsausgaben führen offensichtlich nicht zu einer Steigerung der Effizienz. Es drängt sich viel mehr der Eindruck auf: Der Staat funktioniert nicht, wenn die Baugenehmigung zügig erteilt werden muss. Aber er funktioniert gut, wenn der Balkon fünf Zentimeter zu breit gebaut wurde.

Wir brauchen erstens eine ökonomische Zeitenwende. Angesichts der bereits hohen Staatsquote liegt die Lösung nicht darin, dass diese Ausgaben noch weiter steigen, sondern darin, dass wir den Kurs korrigieren. Seit der Agenda 2010 fehlte der Mut zu echten Reformen in Deutschland. Lange Jahre des Stillstands haben den Status Quo verwaltet, um kritischen Diskussionen aus dem Weg zu gehen und damit einen Zustand zementiert, der dem Land aktuell besonders zum Verhängnis wird. Das muss sich in diesem Jahrzehnt ändern! Ich wünsche mir Mut zu großen Fragen – und zu großen Reformen.

Wir müssen uns unbequemen Wahrheiten stellen: Unser Wohlstand ist nicht selbstverständlich. Der Einfluss unserer Werte auf die Welt ist nicht selbstverständlich. Angesichts der Dynamik der globalen Entwicklungen reicht es nicht aus, sich auf dem auszuruhen, was einmal erreicht ist. Denn die restliche Welt dreht sich weiter, wird besser. Hierzu zählen gerade viele Schwellenländer, auch mit konkurrierenden Wertesystemen. Dies macht ein echtes Umdenken in der Zeitenwende zwingend erforderlich. Wir müssen jetzt mutig die Weichen stellen, um Wohlstand und Arbeitsplätze zu erhalten, und um in den 2030er Jahren noch um die Exportweltmeisterschaft mitspielen zu können.

Handlungsfelder für große Fragen und Lösungen

Unser neuer Kurs muss wieder auf „Wachstum“ ausgerichtet sein. Wir können den einen Rettungsschirm nicht durch den nächsten finanzieren. Es braucht Vorfahrt für eine wachstumsorientierte Politik. Das bedeutet, dass wir auf Steuererhöhungen verzichten und neue Anreize für Investitionen schaffen. Ein Bürokratie-Moratorium reicht nicht aus. Wir brauchen einen Turbo beim Bürokratie-Abbau. Ein Beispiel: Das Bürgergeld kommt zukünftig von einer Stelle statt von Jobcenter, Arbeitsagentur oder Kommune.

An der Diskussion um den Weiterbetrieb unserer Atomkraftwerke und die Räumung des Kohleabbaugebiets Lützerath kondensiert sich die Tatsache, dass vor allem Energie über unsere Wettbewerbsfähigkeit entscheidet. Eine verlässliche und preisgünstige Energieversorgung heute und in Zukunft ist für Unternehmen eine wesentliche Standortentscheidung.

Zweifel bei der Energieversorgung führen zu Abwanderungen und damit zum Verlust von Arbeitsplätzen und Wohlstand. Preisbremsen helfen nur kurzfristig. Mittel- und langfristig hilft nur ein größeres Energieangebot, um die Preise zu stabilisieren. Unsere Zukunft liegt zweifelsohne in regenerativen Energiequellen. Um diese zu erreichen müssen wir aber unsere aktuelle Energieversorgung sichern und sich abzeichnende Engpässe überbrücken. Dafür benötigen wir eine Energiebrücke mit konventionellen Energieträgern. Ein moderater Weiterbetrieb der Kernkraftwerke gibt uns Sicherheit. Gleichzeitig müssen wir Kompetenzen in der Kernfusionsforschung ausbauen. Und statt Schiefergas aus den USA zu importieren, sollten wir eigene Vorkommen nutzen. Das wäre günstiger und zu höheren Umweltstandards möglich. Technologieoffenheit ist unser Schlüssel zu den Freiheitsenergien von morgen.

Die Chancen der Digitalisierung müssen wir umfänglich nutzen. Bei der digitalen Verwaltung müssen wir uns ehrlich machen: Nur Formulare online zu stellen reicht nicht. Die Prozesse müssen aus der Lebensrealität der Bürgerinnen und Bürgern heraus gedacht und schnellstmöglich umgesetzt werden. Mit der Geburt eines Kindes kommen beispielsweise viele Formalitäten und Behördengänge auf die Eltern zu. Alle Leistungen und Anträge könnten zusammengefasst, bedarfsgerecht voraktiviert und dann einfach per E-Mail zugestellt werden. Auch die webbasierte An- oder Ummeldung eines Kraftfahrzeugs ist noch nicht flächendeckend verfügbar.

Bürgerinnen und Bürger im ländlichen Raum warten häufig bis zu zehn Jahre bis zum Baubeginn einer Umgehungsstraße. Ein dringend benötigter Brückenneubau an der A45 kann mindestens fünf Jahre dauern, sofern es bis zur Schaffung von Ersatzquartieren für Fleder- oder Haselmäuse nicht zu Klagen kommt, weil eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch fehlt. Wir benötigen einen Turbo für Planung und Genehmigung. Das gelingt nicht mit stetigem Personalzuwachs in den Verwaltungen, sondern es gelingt mit einem Verzicht auf Genehmigungen in vielen Bereichen. Der Bau eines Einfamilienhauses sollte automatisch nach vier Wochen als genehmigt gelten, wenn keine Rückmeldung kommt.

Das Prinzip des Föderalismus ist elementar für unsere politische Ordnung. Die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern verhindert Machtmissbrauch, ermöglicht mehr Demokratie und besondere Nähe bei regionalen Fragestellungen. Den Föderalismus müssen wir erhalten, aber neu denken: Unklare Zuständigkeiten, eine erdrückende Bürokratie und digitale Defizite bei den Behörden verhindern schnelle und pragmatische Lösungen. Dabei ist es den Bürgerinnen und Bürgern in ihrem Alltag gleich, welche Ebene im politischen System Verantwortung trägt, solange der Staat handlungsfähig ist. Die Wahrheit ist, dass aufgrund der gemischten Zuständigkeiten selbst Experten oft an ihre Grenzen kommen. Das führt teils zu Chaos und löst kurzfristige Improvisationen bei Finanzierungsfragen aus. Die großen Fragen müssen daher sein: Wie organisieren wir die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern neu? Und braucht es auch zukünftig 16 Bundesländer? Zudem ist die Aufteilung der unterschiedlichen Steuereinnahmen zu komplex. Richtig ist doch: Das Geld muss den Aufgaben folgen.

ARD und ZDF sollten Strukturen und Angebote zusammenlegen

Wir sehen großen Bedarf, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) neu auszurichten. Struktur und Auftrag des ÖRR müssen zukunftsfest reformiert werden. Das gelingt, indem ARD und ZDF ihre Strukturen und Angebote zusammenlegen. So entsteht ein bundesweites Fernseh-Vollprogramm, in dem es hinreichend Platz für regionale Fenster geben sollte.

Das Programmangebot soll sich zudem wieder stärker auf Information, Bildung und Kultur fokussieren. Es braucht transparente Gehaltsbänder, und die Intendantengehälter sollten gedeckelt werden. Es handelt sich schließlich nicht um privat erwirtschaftete Einnahmen, sondern um Pflichtbeiträge der Bürgerinnen und Bürger. Andere sagen, der Rundfunkbeitrag soll in den kommenden Jahren möglichst nicht steigen. Wir sagen: Der Rundfunkbeitrag soll bis 2027 halbiert werden.

Ich bin davon überzeugt: Das Beste liegt noch vor uns. Damit unsere Zeitenwende gelingt, müssen wir aber etwas tun. Es reicht nicht aus, nur zufrieden mit dem Status Quo zu sein. Die Lust auf Neues und die Freude an Neugestaltung gibt uns Zukunft. Dafür streiten die Freien Demokraten.

Autor: Henning Höne, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen

Dieser Text ist erschienen in: Westdeutsche Zeitung, 18. Januar 2023